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Die Friedensautoren mit Texten

4. Februar 2009 3 04 /02 /Februar /2009 18:51
 

Wie ein Ross schoss der Wind durch die Schützengräben – Schnee, Kälte, Leichengestank.

Mit versteinerter Miene blickte Franz in den Moloch seelenloser Killermaschinen; beim Blick in die ausdruckslosen Gesichter fiel es ihm schwer, totes von lebendigem Fleisch zu unterscheiden.

Zimmermänner, Studenten; Kanonenfutter. Keine Gefühle mehr übrig; Hass. Keine Erinnerungen mehr; Vergänglichkeit, Fleischlichkeit. Zusammengekauert saßen sie, versunken in gedankliche Masturbation. Nur den Wenigsten gelang die Flucht zu Frau und Kindern, zerbrechliche Welten aus Glas; harte Realität, Stahl. Franz gelang sie nicht, nur Heinrich bevölkertete seine Gedanken. Er kannte nicht mehr das Gesicht seiner Frau, nur Heinrichs schmerzverzogene Miene.


Auch in der Nacht ließ die gottverdammte Kälte nicht nach und die dünnen Decken spendeten nicht einen Hauch Wärme.

Sie gab ihm einen Kuss, und er meinte ihre warmen Tränen auf seinem Körper spüren zu können. Ein gehauchtes “Ich liebe dich”. Doch ihre Stimme wurde immer tiefer und letzendlich hörte er nur noch ein ersticktes “Ich will, dass du's tust”. Heinrich. Glas zerbricht, Stahl hält.


Ein langgezogenes Pfeifen weckte Franz aus seinen Träumen, dann ein weiteres, noch eins, Hundertschaften. Fast schon instinktiv hechtete er in die Ecke des Unterstandes, seine Decke vor sich gehalten, als könne sie als Schutz dienen. Dann ein Knallen, aufgewirbelte Erde, panisches Geschreie. Weitere Knalle, erstickte Todesschreie. Ein großer Knall, Knistern, kakophone, langgezogene Schreie. Stundenlang schrieen sie, so kam es ihm vor, als wären sie in ewigwährender Agonie versunken. Dazu der schreckliche Gestank ihres brennenden Fleisches, ihm war, als müsse er vomitieren, doch die Kotze blieb ihm im Hals stecken und er musste schlucken, um nicht dran zu ersticken. Noch die halbe Nacht ging es so weiter, noch die halbe Nacht saß Franz zusammengekauert unter seiner Decke.


Als der Beschuss beendet war, stand er mit wackligen Füßen auf. Es war immer das Gleiche; Bombardierung, Sturmangriff, Verteidigung, erneutes Warten. Routine.

Der Laut von schweren Springerstiefeln und hektisches Geschreie kündigten die Briten an, Horden von erbarmungslosen Tommies. Bestien, sich den Schützengräben nähernd.

Seine Waffe in den Händen haltend verließ er den Unterstand, die Schützengräben vor ihm waren voll Blut. Vor ihm lag der verbrannte Körper eines Kameraden, den Mund noch zum Schrei geformt, die Hände zusammengezogen; in dem, was früher wohl ein Baum gewesen war, hing die Leiche eines weiteren. Es herrschte allgemeine Hektik, Sanitäter liefen wild umher, suchend nach Verletzten, wer zu schwer verletzt war, wurde seinem Schicksal überlassen und Soldaten brachten sich, über die Kadaver ihrer Kumpanen steigend, in Stellung.

Auch er stieg auf eine kleine Kiste um über den Schützengrabenrand zu blicken. Der Mob aus Engländern zog, nachdem er aus den Schützengräben geklettert war, hastig über das Niemandsland, doch schon bald fielen die Schüsse, das Schicksal des einzelnen wurde im Existenzenwirrwarr belanglos, Verwundete schrien Namen, 'Joanna, Maria, Elizabeth, Sarah, Mama’. Ihre Leichen würden auf dem kalten Boden gefrieren, ihre Körper mit luftigem Schnee bedeckt, verdammt zum Vergessenwerden.


Als er wieder schlief, kammen sie wieder.

Wieder die Bilder vor seinen Augen, Heinrich fällt getroffen zu Boden, ein blutendes Loch im

Bauch. Versuchend die Gedärme am Austreten zu hindern liegt er am Boden, er zuckt schmerzverzerrt, emotionslos in Franz' Augen blickend fordert er: "Mach ein Ende, gib mir die Kugel, ich will doch, dass du's tust". Franz zögert, Heinrich fügt mit erstickter Stimme "Bitte" hinzu.

Franz legt seine Waffe an und führt sie an Heinrichs Kopf. Heinrich kneift die Augen zu, hastig atmend. Franz wusste nicht mehr, wie lange er dort gestanden hatte, die Zeitlinien waren in Geraden verlaufen, irgendwann gibt er es auf, er würde es nicht schaffen abzudrücken, Heinrich weint.


Am nächsten Morgen beim Morgenappell zog ein gekrümmt laufender Offizier durch die Reihen. Der ernst dreinguckende Mann verteilte die Geschenke, die die OHL zugeteilt hatte. Der wachhabende Offizier, Fischer, verlangte zynisch von den Soldaten, sich auch schön zu bedanken, da sich ja der Kaiser um sie kümmere. Dass es Weihnachtsgeschenke sein sollten, erinnerte höchstens die Kälte, denn das ganze hatte allerhöchstens die Festlichkeit einer Beerdigung.

Als der Verteiler im schlammigen Schnee vor Franz stand, reichte er ihm das blaue Einheitspacketchen mit schwarz-rot-weißer Schleife.

Wenig später packte er es aus; ein bisschen Tabak, eine Pfeife und ein Bild der Visage Friedhelm des IV. und eins der von Lausenstadts. Der Kaiser lächelte etwas aufmunternd, während der berühmte General ernst blickend stumm zur Diziplin forderte. Auf dem Rücken des Packets war in gotischer Schrift Gott möge euch beschützen aufgedruckt. Franz nahm sich den Tabak, den Rest schmiss er weg.


Am frühen Abend saß die Kompanie zum Essen. Ein lauwarmes Stück Fleisch mit Brei. Der Tag war merkwürdig ruhig gewesen, kein Artillerie-Gedonner, kein Schreien und Trampeln, höchstens das entfernte Knallen eines Gewehres.

Die OHL hatte das ganze Fest schon vorgeplant, ein bisschen Singen und Trinken, mehr Fröhlichkeit war wohl nicht drin.

Als Franz gerade ein Stück Fleisch anbiss, stürmten zwei Männer in den Unterstand. Auf den vom kreig gezeichneten Gesichtern war ein leichtes Lächeln zu erkennen, als der eine sprach: "Wir haben Rum zu den Engländern gebracht".

Für ein paar Momente herschte eine Totenstille, dann stand Fischer auf, wie er auf die beiden zuschriet, lief eine Träne über seine Wange. In der nächsten Sekunde stand er vor den beiden und schlug dem einen ins Gesicht. Den am Boden liegenden trat er immerwieder in die Bauchgegend, währrend er lauthals schrie: "Vaterlandsverräter! Miese Kollabrateure! Eure verruchte Existenz beschähmt das gesamte deutschte Volk, Dreck!". Nachdem er von dem am Boden liegenden Soldat abgelassen hatte, schlug er dem anderen, der das Geschehen entsetzt beobachtete, ins Gesicht. "Was glotzt ihr so scheiße?", fuhr er die am Tisch sitzenden Soldaten an, "führt sie ab, sofort, oder ich bringe euch alle vor's Kriegsgericht!"


"Franz, wach auf!" Franz blickte aus müden Augen zu der Gestalt vor ihm auf. Es war Friedrich, ein junger Soldat, den das Geschehen hier stark zusetzte. "Ja?", brummelte Franz. "Kommst du mit rüber zu den Tommies?" Franz' Müdigkeit verzog sich blitzschnell, er starrte Friedrich mit weit geöffneten Augen an und fragte ihn: "Fritz, bist du verrückt? Das sind Engländer! Feinde! Das sind Monster, die erschießen uns ohne mit der Wimper zu zucken!" Friedrich lächelte warm. "Nein, keine Sorge. Oskar war schon drüben, er meinte, dass sie nicht mehr kämpfen wollen. Sie würden uns Whiskey und Zigarren geben, wenn wir ihnen was von unserem Rum bringen". "Du lügst doch! Spion, Verräter, Feigling! Du willst mich doch in eine Falle locken. Oskar wäre der letzte, der sein Land so verraten würde!" "Er hat sein Land nicht verraten, er hat ihm mehr gedient als jeder General, Oberst und Leutnant! Komm mit und lebe, oder bleibe hier und verrecke weiter."


Irgendetwas hatte Friedrich in Franz verändert. Der depressive Fritz, den all das Geschehen hier in ein moralisches Wrack verwandelt hatten, wie verwandelt, mit flammenden Augen und Willen, und Oskar, der hasserfüllte Nationalist, er soll sich mit dem Feind versöhnt haben? Franz konnte dies nicht glauben, vielleicht war Friedrich verrückt geworden, oder er war wirklich übergelaufen, sollte Franz nur in eine Falle locken? Allen Zweifeln zum Trotz war er Friedrich gefolgt, er kannte ihn schon lange und traute ihm ein Stück weit.


Nicht nur Franz war Friedrich gefolgt; 5 Mann saßen am Rand des Schützensgraben.

"Franzl, schön dich zu sehen", lächelte Oskar. "Jaja, freut mich auch", sagte Franz kühl.

Eine komische Ruhe durchfuhr die Gruppe. Nur das Rauschen des Windes, der einen kalten Schauer mit sich brachte, war zu hören. Eigentlich hatte diese Ruhe nichts Besonderes, doch gab sie jedem noch Gelegenheit, für Gedanken, was passieren würde, Erwartungen, Ängste.

Keiner wusste, wieviel Zeit vergangen war. Oskar schaute auf seine Digitaluhr.

Er atmete durch und meinte: "Wir müssen los".


Der Schnee überdeckte das Niemandsland, die Leichen, Wracks, totes Fleisch und tote Maschine, vereint unter einer dünnen Schneedecke.

Franz schoss das Blut in Höchstgeschwindigkeiten durch die Adern, ihm war merkwürdig heiß und seine Gelenke fühlten sich an, als würden sie gegen weitere Bewegung streiken.

Wieder herrschte diese Stille, nur das Knarren des gerollten Fasses Rums durchbrach die Stille.

'Ich liebe dich', schossen ihm die Worte seiner Frau ins Gedächtniss, eine warme Böe fühlte sich wie ihr Atem an, ein Stern am Himmel wirkte wie ein Abbild des Glitzerns in ihren Augen, die Nacht darum ihre Pupillen. Der Wiederhall eines weitentfernten Schusses holte ihn aus seinen Gedanken.

Er würde verrecken, sie nie wieder sehen, das einzigste was sie je wieder von ihm zu hören bekommen würde, wäre nicht etwa seine Stimme, sondern die eines Feldpriesters, der ihr berichten würde, dass er gefallen sei, dass seine Leiche nun verotten würde, dazu einen Blumenstrauss und Tipps, wie man es den Kindern am besten beibringe.

Und wer war Schuld an der ganzen Misere? Die Briten, die einfielen! Er verteidigte doch nur, doch sie raubschatzten. Perfides Albion! Und diesen Barbaren sollte er gleich die Hand schütteln, mit ihnen Frieden spielen?

Oskar deutete auf einen umgefallenen Baum. Er setzte sich, lächelte etwas und sagte: "Sie haben ein bisschen Verspätung".


Franz hatte ein bisschen Ordnung in seine Gedankenwelt gebracht und nutzte die erneute Wartezeit zur Musterung der anderen. Friedrich, der ebengrad noch vor Vorfreude gesprudelt hatte, tippte nervös auf dem Fass Rum herauf, Oskar rauchte eine Zigarette und die anderen beiden schauten in die Luft, mehr zwischen den Sternen als anwesend. Keiner traute sich etwas zu sagen, alle zitterten merkwürdig, nur Oskar wirkte wie die Ruhe selbst. Er nahm einen langen Zug von der Zigarette und stieß den Rauch langsam wieder aus, so dass man seiner Brust beim Absenken betrachten konnte, verträumt in Richtung der englischen Schützengräben blickend.

"Kennt ihr das Mädchen vom Postdienst in der Basis?", fragte Oskar, "ich glaube, ich liebe sie. Ich liebe es, wie sie geht, wie sie atmet und wie sie Briefe austeilt." Er lächelte. "Aber ich trau mich nicht, sie anzusprechen." Er nahm einen Zug an der Zigarette und schaute wieder in die Leere, bevor er weiter sprach. "Ist das nicht eine verschießene Ironie? All diese scheiß Tommies machen mir keine Angst, aber die Phobie vor einem 'Nein' dieser Person treibt mich in den Wahnsinn." Er nahm noch einen Zug, pustete eine kleine Wolke aus, warf den Zigarettenstummel vor sich und zertrat ihn. Er blickte auf, lächelte noch einmal und sagte: "Na, endlich".


Fünf Schatten huschten über das Niemandsland, ihre Schuhe machten leise Geräusche auf dem schlammigen Schnee.

Oskar stand auf und winkte, ein Schatten winkte zurück.

Es dauerte nicht lange, da standen die Engländer vor ihnen. "Hi, guys", grüßte Oskar. Und hielt dem vordersten die Hand entgegen.

Im Zwielicht konnte Franz die Reaktion des Briten nicht beobachten; nach etwas Zeit reichte dieser die Hand Oskar entgegen und schüttelte sie schüchtern.

"Take a seat", meinte Oskar und zeigte auf den Boden. Der Mann nickte und setzte sich, die anderem taten es ihm gleich.

Franz konnte in die Augen des ihm gegenübersitzenden sehen, klein vor Müdigkeit starrten sie sinnlos auf ihn.

"I see, you have the Whiskey with you, my friends. What about drinking a glass?", fragte Oskar. "A great idea", stotterte ein Engländer.

Eine Gestalt rollte ein Fass in die Mitte der Personen, öffnete eine Tasche mit Gläsern und reichte jedem eins. Er öffnete es und jeder bekamm ein Glas braun-gelben Whiskey, ohne sonderlichen Duft, halt von billiger Machart.

"Cheers", sprach Oskar und jeder antwortete mit den gleichen Worten. Jeder nahm einen tiefen Schluck, meistens das Glas leerend.

Franz musste von dem Hochprozenter ein wenig husten und seine Sicht verschwomm leicht, sein Gleichgewicht nur noch begrenzt als solches beizeichnungsbar.

"And where's the Rum, Jerries?", fragte ein Brite. "Yeah, where's this godfucking Rum?", stimmte ein anderer ein. "Wait a second", meinte Oskar und gab einem Deutschen das Zeichen, den Rum zu holen. Dieser stellte das Fass neben das andere, öffnete es und befüllte die Gläser. "Sis mihi mollis amicus", sagte Oskar. "Fiducia sit", antwortete ein Engländer und trank sein Glas aus. Auch Franz trank aus. Der kräftige Rum brannte in Mund und Hals, im Magen sich wie ein Stein anfühlend. "How is it?", fragte Oskar. "Well, at least it's not poison, Kraut.", sagte ein Brite trocken, was die Gruppe erheiterte.


Eine Zeit lang blickten sie sich einfach nur an, liessen die Zeit vergehen als könnten sie sie verschwenden.

"What is this medal?", unterbrach Franz und zeigte auf einen der Briten.

"Military Cross, got it for killing fifteen fucking Krauts.", sagte der Angesprochene, währrend er es betrachtete, dann riss er es sich urplötzlich von der Brust, warf es vor sich hin und spuckte darauf. Leise weinend flüsterte er immer wieder "for the fatherland".

Die anderen betrachteten den Verrückten für Stunden. Als am Horizont ein erstes Licht erschien, stand Oskar auf und sagte: "We have to go."

Die Deutschen waren grade aufgestanden, da forderte der Verrückte: "Pass me your gun, Micheal." Der angesprochene Brite schüttelte langsam den Kopf und legte dem Verrücktem die Hand auf die Schulter, doch dieser wiederholte deutlich lauter: "Pass me your gun, Micheal, please." Der Angesprochene nickte widerwillig und reichte ihm seine Pistole. Der Verrückte schaute sie sich an, betrachtete sein Spiegelbild in der blitzblanken silbernen Waffe. Er lächelte zufrieden, bevor er den Mund zu einem 'O' formte, die Waffe einführte und schoss.


Die Engländer gingen kurz darauf, die Leiche ihres Kameraden hatten sie liegengelassen.

Die Deutschen standen auf und bereiteten sich auf's Fortgehen vor, nur Franz blieb sitzen. "Komm, Franz, du weißt was passiert wenn wir zu spät zurückkommen.",

forderte Friedrich. "Geht nur, ich komme nach", antwortete Franz in Gedanken versunken.

Friedrich machte einen bestätigen Laut und die Deutschen entfernten sich wieder in Richtung ihrer Linien.


Die Waffe lag immernoch neben der Leiche des Briten, Blut und Schmutz bedeckten sie.

Franz nahm sie und säuberte sie mit einem Taschentuch, puhlte den Schnee und Dreck aus dem Lauf.

Der Alkohol bereitete ihm leichte Kopfschmerzen, doch er bemerkte sie kaum, es gab wichtigeres als Schmerz.

Er nahm die Waffe am Griff und führte seinen Finger an den Abzug.

Er führte sie an seine Schläfe, flüsterte leise: "Ich dich auch", lächelte stolz und drückte ab.

 

Ich schlage diesen Text vor als Friedenstext des Monats.

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