Gottes Wege sind eben unergründlich, dachte Gabriel.
Der Alte hatte ihn scheinbar noch nicht bemerkt. Er wippte gedankenversunken in einem knarzigen Schaukelstuhl und zupfte an der Schleife eines Päckchens wie eine Mutter an einem Konfirmanden. Als ihm sein Besucher sanft die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen.
„Ach, der Erzengel. Überpünktlich wie immer. Fröhliche Weihnachten, Gabriel.“
„Fröhliche Weihnachten, Chef.“ Der Erzengel überreichte ihm einen blaugrünen Karton.
„Oh, danke. Ich hab auch etwas für dich“, sagte der liebe Gott und „gleich, gleich.“ Dann klemmte er das Geschenk kurzerhand zwischen die Knie und widmete sich weiter dem Päckchen auf seinem Schoß. „Die Schleife ist etwas widerspenstig. Ich wollte aber nicht dieses langweilige Ringelband nehmen.“
Er zupfte und nestelte an der Schleife, bis sie wie eine Rose auf dem Silberpapier plusterte und er mit seinem Werk zufrieden war.
„Da.“ Gott hielt dem Erzengel das Päckchen entgegen.
„Vielen Dank, Chef.“
Im Handumdrehen riss Gabriel die mühsam gerichtete Schleife vom Papier und beförderte ein Kaleidoskop mit feinen Messingziselierungen ans Licht. Damit eilte er zum Fenster, hielt es vor sein rechtes Auge, als wolle er nach Indien Ausschau halten, und rief: „Wie schön, wie wunderschön! Hast du’s auch ausprobiert? Die Zweige vorm Fenster! Der kleine Vogel - göttlich!“
„Göttlich? Aber natürlich“, sagte Gott und genoss schaukelnd die Freude seines Gastes, der wie ein Sechsjähriger mit einem neuen Schatz auf Entdeckungsreise gegangen war.
Gabriel drehte sich um, noch immer durch das Kaleidoskop schauend, das linke Auge zugekniffen: „Und jetzt du.“
Umständlich löste Gott die Schleife von seinem Geschenk, fuhr mit dünnen Fingern vorsichtig am Rand des Papiers entlang und löste das Klebeband. Dann schlug er das Papier zurück, öffnete, ein wenig zitternd, den Karton und hob eine schwere, glattpolierte Kristallkugel heraus. Staunend betrachtete er sie mit ausgestreckten Armen. Plötzlich stand er schwungvoll auf. Der Karton polterte zu Boden. Gott trat an den gedeckten Tisch in der Mitte des Zimmers, wo einige Kerzen flackerten, und stellte die Kugel vorsichtig zwischen seinem Meißner Porzellan ab. Sie blieb liegen. Dann trat er einen Schritt zurück. Das Kristall, majestätisch und erhaben, ummantelte einen rauchdicken Nebel, der hier und da auch in roten und blauen und grünen Schwaden wallte. Die Kugel strahlte große Ruhe und Kraft aus.
„Mein Gott“, sagte Gott und stockte. Seine Augen glänzten. „Das ist ja … das ist … wo hast du denn den gefunden? Das ist ja der Frieden!“
Er schüttelte ungläubig den Kopf und ließ eine Träne wie einen emsigen Käfer über sein zerfurchtes Gesicht rollen.
Gabriel war hinter Gott getreten und schaute ebenso gebannt in den Kugelnebel.
„Woher? Ich weiß auch nicht mehr“, sagte er. „Von einem Basar in Khartum. Oder Beirut? Bin viel herumgekommen in letzter Zeit.“
„Dass so etwas überhaupt noch zu haben ist.“
„Ich will es mild ausdrücken, Chef“, entgegnete Gabriel, „das Interesse ist eher mäßig.“
„Schade“, sagte Gott. Dann schlug er sich mit der flachen Hand auf sein Knie. „Na ja. Ich freu mich sehr. Du glaubst nicht, wie glücklich du mich machst.“
„Ach Gott …“ Gabriel scharrte verlegen auf den Dielen herum. „Ich hab sie gesehen und musste gleich an dich denken. Nichts weiter.“
„Du gibst dir immer solche Mühe. Apropos, weißt du, was mir Petrus geschenkt hat?“ Gott blinzelte verbündlerisch und gab die Antwort gleich selbst, während ein Glucksen und Giggeln seinen Körper wie ein startender Motor erzittern ließ. „Wird langsam alt, der Gute. Ein Didgeridoo hab ich von ihm bekommen.“
Er zeigte auf ein Instrument, das am Tisch lehnte.
„Oh“, sagte Gabriel, als wäre es sein eigenes Präsent. „Hat er dir nicht letztes Jahr schon eins geschenkt?“
„Und das Jahr davor“, lachte Gott aus vollem Halse. „Ich soll mal ein bisschen zur Ruhe kommen, meint er. Gute Idee. Herrlich meditative Musik, ehrlich, aber selbst der liebe Gott kann immer nur ein Didgeridoo spielen.“
„Wenigstens hast du eine tolle Auswahl“, sagte der Erzengel, und beide prusteten donnernd und ausdauernd.
Als sie sich wieder beruhigt hatten, klatschte Gott in die Hände und rief: „So, mein Junge, jetzt wollen wir mal Kaffee trinken. Ich habe Muffins gebacken und kann es, ehrlich gesagt, kaum erwarten, sie auszuprobieren.“
Er gönnte sich einen letzten Blick auf sein Geschenk und schlurfte dann zur Küche, um den Kaffee aufzusetzen.
Ich schlage diesen Text vor als Friedenstext des Monats.