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Die Friedensautoren mit Texten

16. August 2008 6 16 /08 /August /2008 19:34
  Wie lange schon stand ich vor dem Bild und fragte mich immerzu, wie jemand nur auf die Idee kommen konnte Wind zu malen?

Südwind.

Wieso ausgerechnet Südwind? Was hatte Südwind mit dem Thema „Heimat“ zu tun, dem diese Ausstellung gewidmet war?

Abgeerntete dunkle Felder und verdorrte Wiesen durchzog ein schmaler Weg, der sich am Horizont ins Nichts verlor. Über allem spannte sich ein düsterer Himmel, alles beherrschend. Vom Wind zerrissene Wolken trieben in Fetzen dahin, hell vorm schweren Grau. Das trockene Gras schaukelte hin und her, erst sacht, raschelte leise. Dann schüttelte es sich mit lautem Rauschen. Der Südwind umwehte mich warm, strich mir über die Wangen, wühlte in meinem Haar. Er flüsterte, hauchte meinen Namen. Ich ging los und hörte, wie der Kies des Weges unter meinen Sohlen knirschte. So beständig ich vorwärts schritt, schien ich dennoch nicht von der Stelle zu kommen. Die Felder und Wiesen sahen immer gleich aus und der Horizont blieb fern. Unerreichbar. Doch stehen bleiben konnte ich nicht – weiter und weiter trieb mich das Rufen des Windes. Immer vertrauter wurde seine Stimme. Auch die Landschaft kam mir langsam mehr und mehr bekannt vor. Unmerklich tauchten einzelne Bilder aus den Tiefen meiner Erinnerung hervor, schwebten an die Oberfläche meines Bewusstseins und lösten sich unerkannt auf. Ich versuchte, sie zu greifen, festzuhalten, doch sie entzogen sich der Bemühung meines Verstandes. Noch während ich versuchte, meine Erinnerungen zu fassen, tauchte am Horizont ein dunkler Punkt auf. Meine Schritte brachten mich näher und der Punkt wurde größer, nahm langsam die Gestalt eines Menschen an. Je näher ich kam, desto deutlicher konnte ich die Gestalt erkennen. Es war ein Junge, vielleicht zehn Jahre alt, der im trockenen Gras kauerte. Reglos hockte er da, hatte mir den Rücken zugewandt und ich vermutete, dass er mich nicht gehört hatte. Seltsame Kleidung trug er. Die knielangen Hosen aus grauem kratzigem Stoff, die Hosenträger, das weiße kurzärmelige Hemd erinnerten mich an ein Foto aus meiner Kindheit. Auch die geschorenen Haare kamen mir sonderbar vertraut vor. Ich blieb stehen und betrachtete den Jungen. Da wandte er plötzlich den Kopf und ich blickte in mein Bubengesicht. Doch es war nicht das fröhliche Gesicht mit dem verschmitzten Lächeln, das ich von dem Foto kannte. Aus den blauen Augen, die durch mich hindurch zu sehen schienen, schaute mir tiefe Furcht entgegen. Der Junge wandte sich ab und kroch durch das hohe Gras. Der Wind peitschte die trockenen Halme und schwere Wolken verdunkelten den Himmel. Langsam folgte ich dem Burschen zu einem kleinen Mädchen, das zitternd am Boden lag. Der Junge schaute erst in alle Richtungen und nahm dann das Kind in die Arme. Das Rauschen des Windes wurde immer heftiger, vermischte sich mit einem lauten Dröhnen. Ich sah zum Himmel auf und entdeckte die Flugzeuge. Tief rasten sie über die Felder heran. Der Lärm ihrer Propeller wurde unerträglich. Ein Rattern, gleichmäßig und schnell, übertönte die Motorengeräusche. Als ich mich umschaute, sah ich unzählige Menschen, die versuchten, vor den Flugzeugen zu fliehen. Doch es gab nichts, wo sie sich hätten verstecken können, kein Busch, kein Baum, kein Haus. Wehrlos waren sie den Maschinengewehrsalven ausgeliefert. Schreie gellten, Körper wurden zu Boden geschleudert, zusammengekrümmt blieben sie liegen. Blut tränkte die ausgetrocknete Erde.

Das kleine Mädchen weinte.

Es gab keine Worte, die Trost gespendet hätten.

Der Junge umschlang seine Schwester, versuchte, sie zu schützen. Doch das Mädchen strampelte und schlug um sich. Er konnte sie nicht halten. Sie riss sich los und rannte durch das hohe Gras davon. Seine Hand griff nach ihr, doch fasste nur ihr Haarband, das sich löste. Noch bevor er aufspringen konnte, sah er, wie sie herumgewirbelt wurde. Die Geschosse durchschlugen ihren zarten Körper. Dann fiel sie. Das hellgelbe Kleid saugte sich voll Rot. Auf allen Vieren kroch er zu ihr, hockte sich neben sie. Mit bebenden Fingern streichelte er ihr weiches Haar, bis die Flugzeuge abdrehten und eine unwirkliche Stille zurückließen.

Hände packten ihn, zerrten ihn weg von ihr, seiner Schwester, seinem Leben, allem, was ihm noch geblieben war. Sie schleiften ihn über die Wiese davon. Kleiner wurden sie und kleiner, bis sie hinter dem Horizont verschwanden. Der Wind verstummte. Gelähmt stand ich da und starrte auf das leblose Mädchen. Da traf mich der erste Regentropfen. Warm fiel der Regen auf meine Reglosigkeit herab, durchdrang meine Kleidung, meine Haut, meine Seele. Sanft umhüllte er mich, rann über mein Gesicht, tropfte auf die staubige Erde.

 

Geht es Ihnen nicht gut?“

Ich schrak herum und blickte in das Gesicht einer jungen Frau. Sie trug die Uniform des Museumspersonals.

Doch, es ist alles in Ordnung“, stammelte ich, fuhr mit dem Handrücken über mein Gesicht und fühlte die Nässe. Unwillkürlich griff ich in meine Jackentasche, zog ein Tuch heraus und wischte mir die Tränen von den Wangen. Als ich das Tuch zurückstecken wollte, fiel mein Blick darauf und ich hielt mitten in der Bewegung inne.

Es war das Haarband meiner Schwester.


Ich schlage diesen Text als Friedenstext des Monats vor.

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